Münsteraner Appell

Schaut man in die bundesdeutschen Diözesen, dann stellt man einen immer stärkeren Rückzug aus der Männerarbeit/-seelsorge fest. Dieses nachlassende Engagement wird auch vom VKM kritisch gesehen. Daher unterstützt der VKM den Münsteraner Appell, den die Gemeinschaft Katholischer Männer Deutschlands bei ihrer letzten Mitgliederversammlung beschlossen hat.

Münsteraner Appell

ENGAGEMENT FÜR MÄNNERSEELSORGE, MÄNNERARBEIT UND MÄNNERBERATUNG IN DEN DIÖZESEN STÄRKEN

Einleitung

2021 feiert die Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den Diözesen ihr 60jähriges Bestehen. Dies nehmen wir schon jetzt zum Anlass, gegenwärtige Herausforderungen für die Männerseelsorge zu beschreiben und daraus Forderungen an die Diözesen zu formulieren.

Analyse

  • Hohe Austrittszahlen von Männern aus der Kirche: 2018 waren rund 53 % Frauen Mitglieder der katholischen Kirche und nur 47 % Männer. Der prozentuale Anteil der aus der katholischen Kirche ausgetretenen Männer lag hingegen bei 57 %. Die niedrigere Zugehörigkeit von Männern zur Kirche, bei gleichzeitigem höherem Austrittsverhalten, verstärkt die Tendenz, dass zukünftig insgesamt weniger Männer als Frauen Mitglieder der Kirche sein werden. Fast die Hälfte (47,8 %) der Austritte betrifft dabei die Alterskohorte der 25-39jährigen. Dort, wo es Angebote der Männerseelsorge gibt: Väter-Kinder-Zeltlager, Väter in Kitas-Angebote, Männerwallfahrten, geistliche Wochenenden, Einkehrtage, Männer im Übergang von Beruf in den Ruhestand etc. wird vermutlich eine hohe Kirchenbindung erzeugt. Überzeugende Seelsorger, Kursleiter, Therapeuten und Sozialarbeiter bieten Männern authentische Identifikationspersonen und eine höhere Wahrscheinlichkeit des Verbleibens als Mitglied in der katholischen Kirche. Mit den Angeboten der Männerseelsorge findet eine lebensnahe Evangelisierung von Männern statt.
  • Männerspiritualitäten: Männer haben je eigene Weisen, ihren Glauben zu leben. Dieser ist vielfältig und kann viele Anlässe haben und unterschiedliche Ausdruckformen bekommen. An den Schwellen biographischer Entwicklung sind sie ansprechbar: als Väter, in Krisen wie burn-out, bei Trennung und Scheidung, beim Übergang vom Beruf in den Ruhestand etc. Nicht allein psychisch wollen diese Situationen im Kontakt mit anderen Männern bewältigt werden, sondern auch ihren religiösen Ort haben. Orte religiösen Ausdrucks finden sich oftmals draußen, unterwegs, in Bewegung, in der Natur. Hierbei entwickeln sie eigene auch liturgische, religiöse Ausdrucksformen, die im Dialog mit anderen Männern geteilt werden wollen. In der klassischen Gemeindeseelsorge finden Männer oftmals wenige diesen Bedürfnissen entsprechende Angebote.
  • Männerförderung und Frauenförderung: Nicht nur Familienformen sind bunter geworden. Auch die Erwartungen und gelebte Formen von Väterlichkeit und partnerschaftliche Tätigkeit im Haushalt beispielsweise haben sich grundlegend verändert. In vielen Diözesen gibt es Frauenbeauftragte und berechtigte Förderprogramme für Frauen in Führung und Leitung. Gleichzeitig gibt es selten einen gleichzeitigen Blick auf Männer, z.B. in der Form eines Männer- bzw. Väterbeauftragten. Männer sind weitgehend mit den Transformationsprozessen eigener Männer- und Vaterbilder auf sich gestellt. Männerseelsorger, dort, wo es sie gibt, arbeiten hier zwar maßgeblich mit an diesen Prozessen, die letztendlich zu mehr Zufriedenheit in Beruf, Partnerschaft und Familie führen.
  • Missbrauch an Jungen und jungen Männern: Die MHG-Missbrauchsstudie von 2018 hat gezeigt, dass 63% der Betroffenen männlichen Geschlechts sind. Zwar sind die Maßnahmen zur Prävention und Intervention in den Bistümern verbessert worden, auch haben Betroffene die Möglichkeit, Entschädigungen zu erhalten und Therapien finanziert zu bekommen. Dennoch ist die Zahl betroffener Männer, die in der Kirche ihre Heimat haben oder suchen, laut MHG-Studie weitaus höher. Um ihnen eine Möglichkeit zu geben, sich mit dem an ihnen begangenen Unrecht anderen zu öffnen, sind die Angebote für Männer in den Diözesen ein hervorragender Ort, damit Männer in geschützter Atmosphäre zu Wort kommen können.
  • Rechtspopulismus ist (mehrheitlich) männlich: Nicht nur, aber besonders in den östlichen Bundesländern wählen überwiegend Männer rechtspopulistisch. Zwar haben in dortigen katholischen Kerngebieten, z.B. in Thüringen, die Katholiken bei der letzten Landtagswahl nicht rechtspopulistisch gewählt, doch kann man auch am rechten Rand des katholischen Milieus Tendenzen für eine Sympathie mit diesem Meinungsspektrum erkennen, deren problematische Teile eine Verachtung für die Demokratie und mangelnde Toleranz gegenüber Minderheiten sind. Männerseelsorger und Männerbeauftragte haben die Möglichkeit, solche Männer zu erreichen, z.B. in geschlechtshomogenen Gruppen, um offen über Probleme und Sorgen derjenigen zu sprechen, die sich benachteiligt fühlen und es oftmals auch sind. Männerarbeit ist somit ein Dienst am Gemeinwohl und eine Stärkung einer werteorientierten Kirche, die jegliche Ausgrenzung von Minderheiten ablehnt, aber auch die Sorgen und Probleme der Männer ernstnimmt.
  • Gewalt an und von Männern: Physische Gewalt ist ein Problem von Männern und für Männer. Die meisten Gewalttäter sind Männer und die meisten Opfer von Gewalt sind ebenfalls Männer. Für beide männlichen Personengruppen gibt es bisher noch sehr wenige Angebote. Das Engagement des Sozialdienst katholischer Männer (SKM) in dieser Sache ist zwar gestiegen, sodass es einige Beratungsstellen für Männer in Krisen gibt, aber das reicht bei weitem nicht. Auch hier kann die Männerseelsorge- und -arbeit einen wichtigen Beitrag leisten, damit Männer sich ihrer eigenen Verletzlichkeit und des Missbrauchs ihrer Verletzungsmacht bewusstwerden und professionelle psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Männer in psychischen Krisen: Die Zahl der Männer, die sich an Beratungsstellen wenden wird größer. Umso kritischer ist, dass es immer noch zu wenig Anlaufstellen für Männer in Deutschland und den Diözesen gibt. Psychische Krisen von Männern zeigen aber oftmals andere Symptome und haben andere Auswirkungen als bei Frauen. Deshalb ist eine flächendeckende Beratungsstruktur für Männer erforderlich. Die katholische Kirche kann hierbei wie bei anderen Beratungsangeboten Vorreiter sein. Männerberatung kann nicht von anderen „mitgemacht“ oder „mitgemeint“ sein, damit sie von Männern in größerer Anzahl in Anspruch genommen wird.
  • Strategiedebatten in den Diözesen: Die Grenzen zwischen gemeindlicher, überregionaler und diözesaner Seelsorge verschwimmen zusehends. Personalmangel in der Pastoral, auch Priestermangel (60 Priesterweihen 2018 in Deutschland, von denen erfahrungsbasiert zwischen 30 und 50 Prozent in den ersten fünf Jahren ihren Dienst aufgeben), Mitgliederschwund (2018 traten 216.000 Menschen aus der Kirche aus) zwingen die Kirche zu neuen pastoralen Wegen. Die verbleibenden hauptamtlichen MitarbeiterInnen bewegen sich in einem Spagat zwischen hohem Anspruch an Professionalität in Einzelbereichen der Seelsorge (Beerdigung, Hochzeit, Jugendarbeit, Männerarbeit etc.) und der Anforderung, auch GeneralistInnen für viele Belange der Seelsorge zu sein. Will die Kirche das professionelle seelsorgliche Tun nicht profanen Anbietern überlassen, muss sie ihr Personal in bestimmten Bereichen durch Aus- und Fortbildung dennoch professionell qualifizieren. Die Befähigung für die Arbeit in der Männerseelsorge gehört angesichts des zunehmenden „Männerschwunds“ in der Kirche unbedingt dazu.
  • Förderung des männlichen Ehrenamts: Dass die katholische Kirche eine von hauptamtlichen Männern (ausschließlich Priestern) geleitete, aber ehrenamtlich von Frauen getragene Frauenkirche ist, gehört mittlerweile zum Allgemeingut kircheninterner Analyse. Männer scheinen sich für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Kirche weniger zu interessieren. Deshalb wäre es dringend erforderlich, Programme zur Förderung von Männern für ehrenamtliche Tätigkeiten, insbesondere für ihre eigene Geschlechtsgruppe zu entwickeln.

Deshalb fordern wir:

  1. In jedem (Erz-)Bistum sollen Beauftragte für Männerpastoral Angebote für Männer im Bistum organisieren und vernetzen. Ihre vordringliche Aufgabe sollte es sein, ein Netzwerk von engagierten ehrenamtlichen Männern zu organisieren, in dem für die verschiedenen biographischen Phasen Angebote entwickelt werden.
  2. In jedem Ordinariat der (Erz-)Bistümer soll es neben einer Frauenbeauftragten einen Männerbeauftragten geben, der die Belange von Männern (z.B. Männergesundheit) und Vätern (z.B. Vereinbarkeit von Väterlichkeit und Beruf) vertritt. Beide sollten eng miteinander kooperieren, um gemeinsame Interessen zu identifizieren und somit daran mitwirken, dass die Kirche ein attraktiver Arbeitgeber wird.
  3. Die Ehrenamtsförderinnen und -förderer, die es fast in jedem (Erz-)Bistum gibt, sollten den geschlechtssensiblen Blick auf den Menschen richten und insbesondere dafür sorgen, dass speziell für Männer konzipierte, von ehrenamtlichen Männern geleitete Männeraktivitäten in den „pastoralen Räumen“ gibt.
  4. Bereits existierende Angebote der Männerberatung sollten ausgebaut und mit der Männerseelsorge der Diözesen vernetzt werden. So entstehen sinnvolle Synergieeffekte zwischen psychologischer Beratung und spiritueller Begleitung.

Hintergründe

  • Evangelisierung und Verkündigung können nur mit glaubwürdigen Personen gelingen. Wenn Menschen diese in ihrem sozialen Umfeld erfahren, erhöht das die Kirchenbindung. Nur erfahrbare Gemeinschaften von Christen formt die Kirche als Institution und wird so glaubwürdiger in der Öffentlichkeit. Kleine, oftmals zeitlich begrenzte Gemeinschaften von Menschen (z.B. bei Väter-Kinder-Zeltlager oder beim Männerpilgern auf dem Jakobsweg) tragen dazu bei, dass auch größere organisatorische Einheiten in der Pastoral lebendig bleiben bzw. werden. Dazu werden für die Männerpastoral versierte Fachleute gebraucht, die es verstehen, mit Männern zu arbeiten bzw. glaubwürdige, authentische Männer sind.
  • Die Kirche als Arbeitgeber kann nur attraktiv bleiben bzw. werden, wenn sie, wie andere Unternehmen und Institutionen auch, um die „besten Köpfe“ kämpft. Dazu gehört auch, männer- und vor allem väterfreundliche Arbeitsplätze zu schaffen, die ein hohes Engagement von Vätern in ihren Familien ermöglicht, zumal Kirche sich zu Recht stark macht für Ehe und Familie.
  • Die MHG-Studie hat schmerzlich gezeigt, wie hoch neben dem Hellfeld der Verbrechen an Kindern und überwiegend an Jungen vermutlich das Dunkelfeld ist. Die Männerpastoral hat die Chance, insbesondere durch ihre Angebote das Dunkelfeld zu erhellen, indem sie Männern die Möglichkeit gibt, sich mit ihrem Schicksal in vertrauten Gruppen, angeleitet durch versierte Männer, anzuvertrauen und weitere Schritte der Bewältigung in Beratung (z.B. in der Männerberatung des SKM) und Therapie zu gehen.

Die Bundeskonferenz der Männerseelsorger in den deutschen Diözesen und die Gemeinschaft der katholischen Männer Deutschlands

Münster, 20. Februar 2020